75 Jahre Grundgesetz - ein Geburtstagsgruß

Rede des Fraktionsvorsitzenden Klaus Neunhoeffer

14.06.24 –

Rede des Fraktionsvorsitzenden Klaus Neunhoeffer bei der „Geburtstagsparty“ für das
Grundgesetz auf dem Schwabacher Martin-Luther-Platz am 26.5.2024

Hallo zusammen.
Ich freue mich, gemeinsam mit euch heute Nachmittag hier in Schwabach dieses bunte und vielfältige Fest zum Geburtstag des Grundgesetzes- und damit die Demokratie zu feiern.

Vielen Dank der Schwabacher Initiative für Demokratie und gegen Rechtsextremismus für die Organisation. Vielen Dank der Ini für ihr jahrzehntelanges Engagement. Die Ini ist das Schwabacher Netzwerk für Demokratie.

Sie hat sich in den 80er Jahren gegründet, als immer wieder rechtsextreme Gruppierungen in Schwabach versuchten, Fuß zu fassen.
Dies zeigt, dass es eine dauerhafte Aufgabe für Demokratinnen und Demokraten war und ist, wachsam zu sein, Verfassungsfeinden entgegenzutreten und die Werte der Demokratie zu schützen.
Rechtsextremes Gedankengut zeigt sich in der Potsdamer Villa genauso wie auf der Politveranstaltung der AfD oder in Polohemd und Champagnerlaune
auf Sylt. Das bis in dieses Jahrtausend verbreitetete Kleinreden von Gefährdungen durch den Rechtsextremismus hat sich mittlerweile in einen demokratischen Konsens gewandelt, der diese Verharmlosungen nicht mehr pflegt.
Daher sage ich: Danke an alle, die sich engagieren und damit beitragen zu einem vielfältigen, bunten, weltoffenen Klima in diesem Land und in unserer Stadt.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurde vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949 unterzeichnet. Damit entstand aus den drei westlichen Besatzungszonen die Bundesrepublik Deutschland - als parlamentarische Demokratie.

Diese steht auf den Trümmern der NS-Diktatur, dem Zivilsationsbruch des Holocaust, auf der militärischen Befreiung vom Faschismus durch ein internationales Staatenbündnis und trifft auf eine Gesellschaft von Zeitgenossen in ihrer gesamten Bandbreite.
Eine demokratische deutsche Verfassungstradition gibt es in Bruchstücken von 1848/49 und 1919.

75 Jahre sind eine lange Periode - während dieser Zeit hat sich das Grundgesetz als stabiler Rahmen für Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik mit all ihren Veränderungen erwiesen.

Unveränderbar sind nach Art. 79.3: Das Bundesstaatsprinzip, also der Föderalismus sowie die Artikel 1 und 20, also die Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie das Demokratieprinzip, das Sozialstaatsprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.

Weitere Artikel bzw. Prinzipien das GG können nur mit doppelter 2/3-Mehrheit aus Bundestag und Bundesrat geändert werden.

Historische Entwicklungen bedeuten Veränderung, auch in politischen Programmen und Mehrheiten in den Parlamenten. Diese Veränderungen finden sich auch im Grundgesetz. Einher gingen diese mit teilweise starken gesellschaftlichen und politischen Protesten.

In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts war die Aufstellung der Bundeswehr mit einer großen Grundgesetzänderung verbunden. In den 60er Jahren waren es die Notstandsgesetze, ein Grund für die sogenannte 68er-Bewegung (neben dem Protest gegen den Vietnamkrieg und der Auseinandersetzung um die Rolle der „Väter“ im Nationalsozialismus). In den 90er Jahren wurde das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte aus dem Artikel 16 in einen hinzugefügten Artikel 16a verschoben und durch ausführliche Erläuterungen relativiert.

Die Grundrechte finden sich in den Artikeln 1 - 19 des Grundgesetzes. Auf diese wird die heutige Veranstaltung in vielfacher Weise eingehen. Die Grundrechte lassen sich unterscheiden in Menschen- und in Bürgerrechte.
Letztere sind an die Staatsbürgerschaft gebunden, die Menschenrechte haben Gültigkeit für alle Menschen - unabhängig von ihrem staatsbürgerlichen Status. Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht. Im Grundgesetz finden sie im Artikel 1 ihre zentrale Aussage: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“

Das Grundgesetz als vorläufige Verfassung. So war es 1949 von den 4 Müttern und 61 Vätern des Grundgesetzes gedacht, um nach einer Wiedervereinigung eine Verfassung für ganz Deutschland durch eine Volksabstimmung zu legitimieren.

1989 war dank der friedliche Revolution, dank der Bürgerrechtsbewegung und durch die Erosion der Staaten des real existierenden Sozialismus dieses historische Momentum.

Eine große Mehrheit der Volkskammer der DDR entschied sich 1990 für den Beitritt zum Bundesgebiet nach dem damaligen Artikel 23 des Grundgesetzes. Eine Entscheidung, die aus der damals gegebenen historischen Situation heraus begründet wurde. So wurde der 3. Oktober das Datum der Unterzeichnung des Einheitsvertrages. Und der Artikel 23 erhielt einen neuen Inhalt: die aktive Mitwirkung der Bundesrepublik bei der Entwicklung der Europäischen Union.

Zu Beginn der 1990er Jahre hat eine gemeinsame Verfassungskommission aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates Fragen, die sich aus dem Beitritt der DDR ergaben, erörtert und es wurden im Jahr 1994 durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes Anpassungen vorgenommen, aber nicht alle Vorschläge der Kommission aufgegriffen.
Eine Volksabstimmung fand auch in diesem Zusammenhang nicht statt.

Ich persönlich finde übrigens, dass der Begriff „Grundgesetz“ auch heute sehr passend für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist.

Demokratische Parteien haben Verfassungsrang.
Sie wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. So steht es im Artikel 21. Es lohnt
sich, genauer zu betrachten, was unter der Mitwirkung an politischer Willensbildung zu verstehen ist.
Dies findet sich im Gesetz über die politischen Parteien, dem Parteiengesetz: Im §1,2 heißt es: „Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens
des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden, sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen, auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluß nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.“

Einzig die Wahlrechtsgrundsätze haben Verfassungsrang, sie sind in fünf Adjektiven formuliert: allgemein, frei, geheim, gleich und unmittelbar.

Die Ausgestaltung des Wahlrechts findet sich nicht im Grundgesetz. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde dieses Wahlrecht einige Male verändert, so in den 70er Jahren, als zunächst das aktive und dann das passive Wahlrecht auf das Alter von 18 Jahren abgesenkt wurde, so 1953, als die 5%-Hürde eingeführt wurde, so 1957, als die Grundmandatsklausel und die Möglichkeit der Briefwahl gesetzlich verankert wurden.

Verfassungsrang hat die Aufzählung der Gründe für eine Verfassungswidrigkeit von Parteien:
„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

Wer also die Vielfalt demokratischer Parteien in Frage stellt oder diese gar abschaffen möchte, ist verfassungsfeindlich, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes - und zwar mit beiden Beinen.

Die Idee der wehrhaften oder streitbaren Demokratie beruht vor allem auf den Erfahrungen der Weimarer Republik, als es insbesondere die NS-Bewegung darauf anlegte, die demokratische Verfassung zu demontieren.

Ich zitiere aus einem Artikel der NS-Zeitung „Völkischer Beobachter“ vom 30.04.1928. Dort schrieb Joseph Goebbels in einem Leitartikel:

„Was also wollen wir im Reichstag? Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.“

Das Konzept der streitbaren Demokratie findet sich vor allem in den bereits genannten Artikeln 79 und 20 des Grundgesetzes, zudem im Parteienverbot und in der Verwirkung von Grundrechten für einzelne Personen nach Artikel 18.
Und im sogenannten Toleranzparadox findet sich die Begründung. Dies sagt, dass die Toleranz dort ihre Grenzen hat, wo kriminell oder menschenverachtend gehandelt wird.

Das Bundesverfassungsgericht ist ein eigenständiges Verfassungsorgan und das höchste Gericht der Republik. Es achtet darauf, dass die Gesetze in der Bundesrepublik der Verfassung entsprechen. Es kann Gesetze wieder aufheben und es kann ein Parteienverbot aussprechen. Das Bundesverfassungsgericht wird nicht von selbst tätig.
Im Grundgesetz finden sich relativ wenig Regelungen über das Bundesverfassungsgericht. So sind Fragen der Zusammensetzung des Gerichtes, der Amtszeit von Richter:innen oder deren Qualifikation nicht im Grundgesetz geregelt - und könnten durch relativ einfache Gesetzesänderungen grundlegend geändert werden. Bundestag und Bundesrat sollten rasch weitere Regelungen zum Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz verankern.

Zwischen dem schlanken Verfassungstext der 146 Artikel im Grundgesetz und der Verfassungswirklichkeit, also der politischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Realität besteht seit 1949 und in unserer Gegenwart ein Spannungsverhältnis. Die Realität in unserer Republik ist nicht überall deckungsgleich mit dem Gedanken des Grundgesetzes.

Demokratie ist verletzlich. Demokratie kann verhöhnt, von innen ausgehöhlt und zerstört werden, wenn sie nur formal betrachtet wird.
Demokratie zu verteidigen, sich zu engagieren, im Ehrenamt, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in demokratischen Parteien, in Verbänden - das geht uns alle an und es geht gemeinsam am allerbesten.


In diesem Sinne: herzliche Glückwünsche zum Geburtstag, liebes Grundgesetz.

Und vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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Grüne Fraktion

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